Bettina Kraus

Bettina Kraus

Schon länger wollten wir Bettina Kraus zum Interview treffen. Es hat lange gedauert zwischen Amsterdam und Berlin einen Termin zu finden. Bettina Kraus ist Partnerin des Büros Wiel Arets Architects, Amsterdam NL und seit 2010 Gastprofessorin des Berlin Studios an der North Eastern University Boston USA. Ende April wird sie als Jurorin über die deutschen Arbeiten des Concrete Design Competition mitentscheiden. Nach ihrer Rückkehr von der Marrakech Biennale in Marokko haben wir sie zum Gespräch in Berlin getroffen.

Frau Kraus, was bedeutet für Sie Energie?

Es gibt natürlich die Energiefrage, die mit Ökonomie, etwa mit dem Haushalten von Ressourcen, zu tun hat. Dann gibt es die Energiefrage, die mit Ausdruck zu tun hat, damit, etwas zu übersetzen und zu intervenieren. Für mich ist Energie nicht nur eine Frage von Bilanzieren. Energie ist für mich mit Aktivität, Interpretation und Präsenz verbunden. Ein sinnvoll positioniertes Programm inmitten eines Stadtgefüges kann unglaubliche Energien freisetzen.

Gibt es für Sie etwas wie „energiegeladene Architektur“?

Bevor wir über Architektur sprechen, ein paar Worte zu Beton oder „concrete“. Mir gefällt die Direktheit des englischen Wortes „concrete“, weil das eine konkret greifbare Konnotation hinsichtlich Haptik hat. Analog zu einem qualifizierten Schauspieler kann man mittels Beton, viele Gesichter, Figuren und ganz verschiedene Charaktere projizieren. Genau darin liegt die Attraktion des Werkstoffes. Daher auch seine Anwendung in unterschiedlichen Disziplinen: von der Ingenieurskunst über Architektur, Produktdesign, bis hin zur Bildenden Kunst; das kulturell bedingte Assoziationspotential, die Manipulierbarkeit des Erscheinungsbilds sowie die Maßstablosigkeit sind wesentlicher Anreiz für dessen Verwendung. Der „world Receiver“ von Isa Gezken etwa, nutzt das Material um das Thema Kommunikation zu kommentieren. Die Archaik der Betonlandschaften von Fischli und Weiss bilden sich, indem das Rohmaterial dem Witterungsprozess ausgesetzt wird. Kein entworfenes Mahnmal kann an die Relevanz der von Granaten durchlöcherten Betonruine des ehemaligen „Holiday Inn“ in Beirut herankommen …

Um Vielfalt und Interdisziplinarität geht es uns auch beim Concrete Design Competition. Das aktuelle Thema lautet „Energy“. Daher fragen wir doch noch einmal, was Sie vor sich sehen, wenn Sie das Begriffspaar „Energie und Architektur“ hören?

Ich finde das Begriffspaar schwierig. Genauso, wie man die momentan propagierte Nachhaltigkeit fast nicht mehr hören will. Einen „nachhaltigen“ Beitrag diesbezüglich finde ich sehr wichtig und toll, leider wird das Wort oft als Label missbraucht und damit dem eigentlichem Thema nicht gerecht. An einer „energiegeladenen“ oder „dynamischen“ Architektur bin ich ebenfalls nicht wirklich interessiert. „Kraft“ würde mir für das Bild, welches gemeint ist, viel besser gefallen. Mir kommt da ein Damm in den Sinn, der Wassermassen staut oder ein Tunnel, der sich entgegen der Schwerkraft durch ein Gebirge einen Weg bahnt. Solche Skulpturen und Räumlichkeiten bilden für mich Druck, Zug und Spannung, also Kraft ab.

Das drei und zweidimensionale Potential von Beton steckt wie schon angesprochen darin, dass er als Struktur, Textur vielfältig formbar und dessen Fläche vielschichtig behandelbar ist. Das Wirkungsspektrum geht von brutal bis elegant, von hässlich bis schön. Die gestalterischen Möglichkeiten sind vielfach größer als die anderen Werkstoffe – eben weil Beton, über die Form, die zugesetzten Gesteinskörnungen, die verschiedenen Oberflächenbehandlungen manchmal gar nicht mehr als Beton sondern ambivalent lesbar wird.

Nachhaltigkeit ist ja keine neue Herausforderung. Sinnvolle Lösungen für die Zukunft zu entwickeln, war schon immer die ureigenste Aufgabe von Gestaltung.

Genau, das Wort war schon mehrfach „recycelt“, bevor die Architektur den Terminus nach anderen Professionen für sich entdeckt hat; womit wir schon wieder bei dem Thema der Schlagworte wären, anhand derer essentielle Zukunftsfragen öffentlich debattiert werden. Allerdings ist der Begriff im Zusammenhang mit Beton stimmig; was daran liegt, dass Beton mit einem gewissen Ewigkeitsanspruch assoziiert wird. Bestenfalls geht es hierbei um eine kulturelle und nicht nur materielle Dimension in der Gestaltung verwurzelt sein sollte.

Sie sind gerade von der Marrakech Biennale aus Marokko zurückgekehrt. Dort ging es vor allem um Design und Kunst. Welche Eindrücke zum Bauen haben Sie mitgebracht?

Viele. Etwa ein Beispiel zum vorherigen Thema: Einer der Ausstellungsorte ist das Theatre Royale, ein unfertige Bauruine. Aufgrund fehlkonzipierter Sichtlinien wurde der Bauprozess gestoppt. Dennoch ist es ein beeindruckendes wie brauchbares Gebäude, was wiederum den Bogen zum Thema der Nachhaltigkeit schließt. Eine gute Raumstruktur kann eben über das, wofür sie ursprünglich geplant wurde, hinausweisen. Die teilweise rohe Betonkonstruktion des Theaters, die nie ihrer finalen Funktion zugeführt worden ist, bietet Raum für verschiedene Ausstellungen und Performances; und das sehr eindrücklich. Die Dunkelheit der Räume zu inszenieren war Teil der kuratorischen Leistung von Carson Chan und Nadim Samman.

Ähnliches lässt sich bei Fabriktypologien beobachten. Diese leisten genau das, was manche Häuser nicht mehr leisten, wenn sie zu ambitioniert im Grundriss und ökonomisch im Schnitt realisiert wurden. In einer konventionellen Fabrikstruktur kann nicht nur produziert und gearbeitet werden, solche Konstruktionen sind auch für Wohnprogramme oder Sondernutzungen, so als Ausstellungen, Clubs, etc. gut bespielbar. Solche Raumstrukturen mag ich sehr.

Was zeichnet für Sie eine gute studentische Arbeit aus, auch wenn die Arbeiten natürlich mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt wurden und vielleicht zunächst völlig verschieden erscheinen?

Es gibt gemeinsame Kriterien, die man an jede Arbeit stellen kann. Idee, Konsequenz in der Entwicklung bis hin zur formalen Umsetzung. Zu Projektbeginn sollte der Student eine individuelle, sowie kontextuelle Fragestellung oder Obsession definieren, um sich selbst und mich mit dem daraus resultierenden Ergebnis zu erstaunen.

Sie leben in Amsterdam und Berlin, haben unter anderem in der Schweiz studiert und reisen gerne. Sieht die Welt heute überall gleich aus?

Nein. Vielleicht sehen sich Images und Renderings ähnlich. Aber ansonsten finde ich das überhaupt nicht. Architektur entwickelt sich aus der Morphologie und der Kultur einer Region. Das hat wenig mit einfach abrufbarer Bildinformation aus dem Netz oder Magazinen zu tun. Zudem mangelt es einer Reihe von ambitiösen, internationalen Wettbewerbsprojekten an dem notwendigen Verständnis für den jeweiligen Kontext. Für die Bauaufgaben und -konventionen eines Landes sind solche Architekturen – bis auf wenige Ausnahmen – zum einen wenig relevant, zum anderen kommen solche Vorschläge in der Realisierungsphase an ihre kontextuellen Grenzen.

Demzufolge glaube ich nur an das „Maßgeschneiderte“ oder eben das „Gescheiterte“. Jedes Land, jeder Ort hat seine eigenen Gegebenheiten. In der Schweiz wird mit oder gegen die Geografie konstruiert. In Holland drängt man zur Landgewinnung Wasser zurück, anderswo gilt es erdbebensicher zu bauen, oder soziale und politische Grenzen zu ziehen. Die Überlagerung von morphologischen mit soziokulturellen Konditionen führt zwangsläufig zu einer spezifischen Ausprägung der Architektur.

Ganz links am Bildrand kann man die "Beton-Hühnerleiter" erahnen - am Hedge House von Wiel Arets Architects.

Haben Sie eine Lieblingsanekdote für das Bauen mit Beton?

Als wir das Hedge House, eine private Kunstgalerie in Wilje nahe der deutsch niederländischen Grenze entworfen haben, gab es den Bedarf einer Hühnerleiter, da ein Hühnerstall integraler Bestandteil des Konzepts ist. Die Hühner, die im „Mezzanin“ des Hauses wohnen brauchten eine physische Verbindung zum Garten. Zunächst gab es die Diskussion, ob die Hühner aus ästhetischen Gründen in einem zweischaligen Betontunnel nach außen geführt werden sollten oder aber man baut eine Leiter an das Haus. Letztlich haben wir eine Rampe mit einer hühnergerechten Steigung gemacht. Das Haus und seine Geschichte werden dadurch stärker. Beim Lösen eines logistischen Problems entstehen oft Besonderheiten, die einen architektonischen Mehrwert erzeugen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.