Arno Brandlhuber ist einer der Juroren für die deutsche Jury des Concrete Design Competition 2011 / 2012. Arno Brandlhuber trägt intensiv und weltweit zur lebendigen Diskussion über Architektur bei, so zuletzt auf der Architekturbiennale Sao Paolo, im Baumeister und Tagesspiegel, im Berliner Gespräch des BDA und in vielen anderen Foren. Dies macht ihn zu einem streitbaren Protagonisten aktueller Architekturdebatten und damit zu einem guten Juror – wie wir finden.
Wir sprachen mit Arno Brandlhuber über seine Erwartungen an den Wettbewerb und sein Verständnis von Energie.
Was bedeutet für Sie persönlich Energie?
Ganz grundsätzlich müsste im Feld der Architektur der Begriff „Energie“ viel weiter gefasst werden. Zum Beispiel müsste die Herstellungsenergie von Baustoffen mitbilanziert werden – dazu würde ich auch die Herstellungsenergie des eingesetzten Kapitals zählen, weil jede Erzeugung von Geldmitteln auch mit Energieeinsatz zu tun hat. Anders gesagt: Wenn Summe X irgendwo eingesetzt werden soll, muss Summe X zuvor durch Prozesse erzeugt worden sein, die auch Energie verbraucht haben.
Erst auf einer solchen Bilanzierungsbasis könnte man dann über energetische Optimierungen sprechen. Was momentan über die Energieeinsparverordnung erreicht wird, ist nicht in der Lage, das Problem ganzheitlich abzubilden.
Sie waren gerade bei der Architekturbiennale in Sao Paulo unterwegs. Spielt ein erweiterter Energiebegriff in Ihrem Sinne in den dortigen Diskussionen eine Rolle?
Auf jeden Fall! Gerade die Herstellungskosten werden ganz klar als einzusetzende Ressource und auch als einzusetzende Energie diskutiert. Allerdings noch ohne explizite Berechnungsmodelle, wie Kapital jetzt etwa in Energie umzurechnen wäre. Gerade in dem Umfeld, in dem wir uns dort baulich bewegen, werden diese Gedanken intensiv diskutiert.
Wie waren die Reaktionen auf Ihre Projekte in Sao Paulo?
Unsere Projekte, etwa unser Galerie- und Ateliergebäude in Berlin, wurden dort in der Diskussion überraschend gut aufgenommen. Nun muss man natürlich auch dazu sagen, dass der Begriff „Brutalismus“, der in den 1950er Jahren in Europa eingeführt und von Banham seid 1966 weit verbreitet wurde, in Südamerika nie in einen diskreditierenden Terminus umgedeutet wurde. Das macht für die Wahrnehmung von Werkstoffen wie Beton viel aus. Beton wird in Brasilien bis heute nicht als stellvertretend für atmosphärische wie soziale Kälte gelesen.
Welchen Beitrag zu solchen Debatten kann ein studentischer Wettbewerb leisten?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Studierende die Problematik der gesamtenergetischen Bilanzierung von Gebäuden zum Zeitpunkt ihres Studiums als besonders aufregend empfinden. Zumindest könnte aber ein Ergebnis des Wettbewerbs sein, dass der Entwurfsansatz viel weiter gefasst wird und einige Themen radikaler bedacht werden, als das traditionellerweise bei akademischen Entwurfsprozessen üblich ist.
Wollen Sie den Wettbewerbsteilnehmern etwas empfehlen?
Viel weiter blicken, über die bisherige Ausbildung hinaus. Was in anderen Ländern passiert, welche Debatten dort geführt werden und wie sich Architektur, Design und Konstruktion etwa in Indien, Südamerika und anderen Ländern verändern. Internationale Recherchen verstärken, um Wissen darüber aufzubauen, was anderswo schon gedacht wurde. Ein spanischer Architekt wie Miguel Fisac oder ein indischer Tragwerksplaner wie Mahendra Raj kommt in der deutschen Ausbildung kaum vor. Dabei werden hier z. B. weiche, flexible Schalungssysteme eingesetzt oder räumliche Stabtragwerke in Ortbeton realisiert und damit ganz andere physische Erscheinungen hergestellt. Sehr interessant und wert aktualisiert zu werden.
Auch wenn Sie natürlich nichts vorgeben wollen, aber haben Sie Erwartungen an die Arbeiten und die Jurydebatten?
Ein Komplex ist natürlich die Energiefrage – und zwar so weit gedacht, wie man diese überhaupt fassen kann.
Ein zweites Thema kann im Bereich Vorstellungsorientierung liegen. Also darin, was in verschiedenen Situationen überhaupt mit den dem Beton zugeordneten Begriffen verbunden wird – oder eben auch nicht mehr verbunden werden kann.
Ein dritter Komplex, der beim Concrete Design Competition sicherlich eine maßgebliche Rolle spielen kann, wäre ein wesentlich erweiterter physischer Einsatz von Beton. Die Möglichkeiten des Materials gehen doch weit über den „Hypersichtbeton“ eines Tadao Ando hinaus!
Gehen Sie davon aus, dass eine studentische Arbeit die Freiheit hat, theoretischer zu sein, und manche Aspekte weniger stark zu bearbeiten? Oder erwarten Sie Lösungen, die die Ganzheitlichkeit eines Problems widerspiegeln?
Ich glaube, dass sich gerade eine forschende Arbeit sehr wohl auf Einzelaspekte eines Problems konzentrieren kann und würde dies als Chance begreifen.
Welchen Aspekt haben wir jetzt noch nicht besprochen?
Ich könnte mir vorstellen, dass die qualitative Anforderungsskala, die in Deutschland über fast alle Nutzungen gleichermaßen hinweg besteht, für spezifische Aufgaben diversifiziert wird. Durchaus möglich, dass der eine oder andere Teilnehmer zu dem Schluss kommt, dass in bestimmten Nutzungen bestimmte Standards eben weniger wichtig und andere dafür eventuell sogar prägender sind. Eine höhere Ausdifferenzierung der Standards wäre wünschenswert. Nichts als gegeben hinnehmen!
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Informationen zu den Wettbewerbsbedingungen und zur Jury hier.