Fast die Hälfte des weltweiten Ressourcenverbrauchs und gut ein Drittel der CO2-Emissionen wird durch das Bauwesen verursacht, vor allem bei der Produktion, aber auch durch die Entsorgung von Baustoffen. Intelligente, leistungsfähigere Bauteile könnten den Verbrauch deutlich verringern. „Gradientenbeton“ spart Material und ermöglicht eine effizientere Raumausnutzung. Wir haben uns den Stand der Forschung dazu genauer angesehen.

Am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) wird seit 2006 mit sogenannten „gradierten Bauteilen“ gearbeitet. Die Forscher der Universität Stuttgart haben dabei ein Konstruktionsprinzip aus der Luft- und Raumfahrttechnik übernommen: Sie haben Bauteile entwickelt, deren Materialeigenschaften, also z. B. die Wärmedämmfähigkeit oder das Tragverhalten, im Bauteilinneren stufenlos in allen drei Raumrichtungen geändert (gradiert) wird.

Gradientenbeton-Modelle: Je nach lokalen Anforderungen werden die Materialeigenschaften im Bauteil geändert (gradiert).

Gradientenbeton-Modelle: Je nach lokalen Anforderungen werden die Materialeigenschaften im Bauteil geändert (gradiert).

Diese Bauteile – z. B. Wände oder Unterzüge aus dem neuen Baustoff „Gradientenbeton – erfüllen so optimal die lokalen Anforderungen. Denn durch die Gradierung der Porosität im Inneren tragender Bauteile wird eine präzise Anpassung der Materialeigenschaft an die tatsächlich auftretende Beanspruchung erreicht. Unbeanspruchtes und damit überflüssiges Material kann vermieden werden.

Vorbild: Knochen

In der Natur gibt es ein Vorbild für dieses Optimierungsprinzip: Knochen verfügen durch „gradierte“ Verzweigungen (Spongiosa) über eine optimale Leistungsfähigkeit innerhalb des „menschlichen Tragwerks“.

Das Grundprinzip: Innerhalb eines Bauteils aus Gradientenbeton verändern sich die Materialeigenschaften schrittweise.

Das Grundprinzip: Innerhalb eines Bauteils aus Gradientenbeton verändern sich die Materialeigenschaften schrittweise.

Bei der Dichte, der Wärmeleitfähigkeit oder den Dämmeigenschaften eines Materials gehen wir normalerweise von einem homogenen, gleichförmigen Bauteil aus. „Normale“ Wände, z. B. aus Beton, bestehen überall aus demselben Material. Anders beim Gradientenbeton: Eigenschaften wie die Festigkeit, der Dämmwert usw. können innerhalb des Bauteils unterschiedlich angeordnet (= „gradiert“) werden. Wie ein Knochen im menschlichen Skelett ist ein Bauteil aus Gradientenbeton also multifunktional, es erfüllt unterschiedliche Aufgaben: Durch Bereiche mit hoher Dichte kann es statische Funktionen übernehmen, indem es es z. B. zum Lastabtrag beiträgt. Andere Zonen des Bauteils dämmen durch geringe Dichte, aber hohe Porosität. Wichtig: Der Übergang zwischen den verschiedenen Bereichen ist fliessend. Weil Gradientenbeton-Bauteile je nach Funktion unterschiedlich ausgeführt werden, sind erhebliche Material- und Raumeinsparungen möglich.

Herstellung

Bei der Herstellung von Gradientenbeton werden die Inhaltsstoffe nicht wie üblich in eine Schalung gegossen und gleichmäßig verteilt, sondern je nach gewünschter Intensität mit einem Sprühkopf in das Bauteil eingebracht. Je nach Anordnung der Porositäten, durch das Einbringen von Leichtzuschlägen oder durch die Verwendung unterschiedlicher Betone wird ein Bauteil gradiert. Die Steuerung der erforderlichen Zuschlagsmengen erfolgt direkt aus den jeweiligen statischen Berechnungen (CAD-Dateien) für das Bauteil.

Für die dreidimensionale Gradierung von Bauteilen wird am Stuttgarter ILEK ein eigens entwickeltes und patentiertes Simultan-Sprühverfahren angewendet: Damit kann die Zusammensetzung des Sprühnebels kontinuierlich angepasst werden. Positionabhängig wird so die jeweils erforderliche Betonmischung aufgetragen. Durch die Automatisierung des Verfahrens können Bauteile aus Gradientenbeton schnell und wirtschaftlich hergestellt werden.