Früher gab es Heizkörper. Und Klimaanlagen. Wände und Böden waren im Winter kühl und abweisend, im Sommer aufgeheizt. Doch dann kamen ein paar Ingenieure auf die Idee, die Haustechnik (hier: Heizen und Kühlen) mit der Baukonstruktion (Decken und Wände) zu verbinden. Das Ergebnis heißt „Betonkernaktivierung“. Sie nutzt die Fähigkeit der Beton-Bauteile im Gebäude, thermische Energie zu speichern und damit Räume zu heizen oder zu kühlen.

Betonkernaktivierung in Fußböden bzw. Decken bei der Erweiterung des Naturkundemuseums in Berlin

Betonkernaktivierung in Fußböden bzw. Decken bei der Erweiterung des Naturkundemuseums in Berlin

Betonkernaktivierung hat viele Vorteile. Für die Nutzer eines Gebäudes verbessert sich das Raumklima, denn es gibt weniger Zugluft und weniger Lärmbelastung durch brummende Klimaanlagen. Die Gebäudebetreiber freuen sich über deutlich geringere Energiekosten. Und für die Architekten bedeutet Betonkernaktivierung: Mehr Flexibilität beim Entwurf, weniger (sichtbare) Haustechnik, keine abgehängten Decken, mehr Architekturqualität. Zusammengefasst: Less is more. Mies van der Rohe hätte seine Freude daran.

Funktionsweise

In den Beton der Decken und Wände werden Rohrsysteme eingegossen, um die Speicherwirkung der schweren Betonbauteile zu nutzen. Je näher sich die Kunststoffrohre an der Oberfläche des Bauteils (zum Innenraum hin) befinden, desto höher sind die erzielbaren Heiz- bzw. Kühlleistungen.
Man unterscheidet die „Betonkernaktivierung mit Luft“ und die „Betonkernaktivierung mit Wasser“. Doch unabhängig davon, ob in den Rohren nun Wasser oder Luft zirkuliert, die grundsätzliche Funktionsweise ist in beiden Fällen gleich: Im Sommer nimmt das sogenannte „Arbeitsmedium“ (also entweder Luft oder Wasser) die Wärme aus dem Gebäude auf und führt sie ab. Die Räume werden dadurch abgekühlt. Im Winter wird das Arbeitsmedium über Erdwärme oder Wärmerückgewinnung erwärmt. Durch die Zirkulation in Decken und Wänden wird die Wärme langsam und großflächig in das Gebäudeinnere abgegeben.

Die Wärme strahlt über die gesamte sichtbare Fläche des Bauteils in den Raum. Dies ist angenehm für die Nutzer, denn anders als bei einer Klimaanlage wird die erwärmte Luft nicht in den Raum „geblasen“. Es entsteht kein unangenehmer Durchzug. Wegen der großen Übertragungsfläche sind geringe Temperaturunterschiede zwischen Heiz- bzw. Kühlmedium und Raumluft ausreichend. Das Medium muss also im Heizfall nicht so stark erwärmt werden wie beispielsweise das Wasser einer Zentralheizung, deren Heizkörper eine wesentlich kleinere Übertragungsfläche bieten. Aufgrund dieser geringeren Vorlauftemperaturen können zum Heizen z. B. Wärmepumpen (Wärmerückgewinnung) effizient eingesetzt werden. Auch zum Kühlen stehen bei der Betonkernaktivierung kostengünstige und umweltfreundliche Methoden zur Verfügung, z. B. Erdwärmetauscher oder Grundwasserkühlung. Ca. acht Monate pro Jahr kann die Kühlung auch mit Hilfe der Außenluft erfolgen.

Die Trägheit der Masse

Wände, Böden oder Decken aus Beton eignen sich hervorragend als Speicher für Wärme und Kälte: Die massiven Bauteile nehmen die Wärme (bzw. die Kälte) vom Medium oder vom Raum auf, speichern sie und geben sie zeitversetzt an den Raum (Heizfall) oder das Medium (Kühlfall) weiter. So kommt es zu einer Verzögerung zwischen Energieerzeugung und -abgabe. Die Tagesleistungsspitzen des Energieverbrauchs werden dadurch „geglättet“, d. h. die Lastspitzen werden abgesenkt und teilweise verschoben, hin zu Zeiten, in denen die Räume nicht mehr genutzt werden. Auf diese Weise wird z. B. im die Nachtabkühlung im Sommer zur Kühlung des Mediums genutzt – dem Bauteil wird Wärmeenergie entnommen. Tagsüber fließt die sich entwickelnde Wärme in abgekühlten Wände: Das Raumklima bleibt relativ stabil und angenehm. Die Raumkühlung findet also bedarfsgerecht am Tag statt, die maximale Tagestemperatur wird gesenkt und zeitlich verschoben. Dadurch eignet sich die Betonkernaktivierung vor allem für Gebäude, die eher tagsüber genutzt werden, z. B. Büros, Verwaltungs- oder Hochschulgebäude.

Projektbeispiel: Volkswohl Bund Versicherungen, Hauptverwaltung Dortmund

Die Wärme für das Verwaltungsgebäude wird mit 20 Erdsonden in bis zu 100 Metern Tiefe gewonnen und durch Betonkernaktivierung in die Räume gebracht. Im Sommer wird überschüssige Wärme aus dem Gebäude ins Erdreich geleitet.

Volkswohl Bund, Hauptverwaltung in Dortmund (Bild: Förschler DPMW)

Projektbeispiel: Institut für Informatik, Universität Rostock

Wärme aus dem Serverraum: Der Neubau wird durch Betonkernaktivierung gekühlt und beheizt. Dabei wird vor allem die Abwärme aus dem Rechenzentrum zur Wärmeversorgung genutzt.

Universität Rostock, Institut für Informatik

Institut für Informatik, Universität Rostock (Bild: Assmann Beraten+Planen GmbH)

Projektbeispiel: HafenCity Universität Hamburg

Im neuen Institutsgebäude direkt am „Magdeburger Hafen“ wird neben Geothermie, Photovoltaik und Solarthermie auch Betonkernaktivierung zur Kühlung der Räume eingesetzt.

Entwurf Hafencity-Universität Hamburg (Code Unique, Dresden)

HafenCity Universität Hamburg (Bild: Code Unique, Dresden)